Die Retorten-Keramiken

 

Der bloße Wunsch schöne Gegenstände herzustellen, ist mir nie Grund genug gewesen künstlerisch aktiv zu werden. So war es auch mit meinem jahrelang gehegten Wunsch, als Maler plastisch zu arbeiten. Bei der Recherche zum amerikanischen Maler Forrest Bess im Jahr 1998 stieß ich auf einen Genesis- Entwurf aus der Alchemie des 17.Jahrhunderts.Ich darin fand schließlich mein plastisches Motiv „Retorte“ und erlebte die sinnliche Tatkraft meiner Hände, die scheinbar völlig selbstgängig begannen, aus Tonwürsten Gefäße zu formen.

 

Ich wollte geschlossene, hermetische Gefäße herstellen, die einen Druckzustand suggerieren, der durch Vorgänge in ihrem Inneren hervorgerufen wird. Meine Retorten könnte man auch als biologische Maschinen ansprechen, deren gleichbleibend rot- weiß (männlich- weiblich) gestreiftes Äußeres signalhaft antwortet. Die Gefäße sind jeweils als zusammengehörige Gruppen von Einigen- Vielen gedacht und meist auf Tischen angeordnet. Ihre „familiäre“ Anordnung und Zusammenstellung kann wechseln, konstant bleibt die insgesamte Bezüglichkeit aller Retorten- Gefäße aufeinander, eine Stammeszugehörigkeit gewissermaßen.

 

J. Z. Dez. 2006

Text wird fortgesetzt

 

 

Babuschka & Multiple

 

Zwei Arten von Historie sind bekannt: Die geschriebene und die erzählte. Die erstere berichtet von Fürsten und ihren Taten, letztere berichtet unter anderem von meiner Urgroßmutter. Sie wanderte zur Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem südlichen Slowenien kommend nach Keutschach in Kärnten ein und „verdingte sich“ als Magd bei einem Bergbauern. Als sie schwanger wurde und gebar, legten ihr die kinderlosen Bauersleute nahe, ihnen ihr Kind, meinen Großvater zur Adoption zu überlassen - was sie tat. Soweit eine kurze genetische Vorgeschichte meiner Existenz.

 

Als ich vom Kunst-Werk-Gasser gefragt wurde, ob ich für die ambitionierte regionale Kulturinitiative einen Beitrag zum Skulpturenpark in Ludmannsdorf/ Ktn. gastalten möchte, stellte sich mir bald die Frage: Was bin ich dieser Gegend schuldig?

 

Die Großskulptur „Babuschka“ die neben Skulpturen von Gustav Janusch und Meina Schellander zu stehen kommen wird, ist inhaltlich aufgeladen von der Geschichte der Wanderschaft meiner Urgroßmutter und bildet auf monumentale Weise Nicht-Geschichte ab. Formal setzt diese Skulptur mit ihrer signalhaften Farbigkeit (rot-weiß=männlich-weiblich) meine 1999 begonnenen keramischen Arbeiten – die „Retorten“ fort. Auch die Retorten-Gefäße waren immer in zusammengehörigen „Familien“ angeordnet. Sie erhalten als Werkgruppe nun in der Babuschka ihre große Urmutter.

 

Johanes Zechner, März 2006