Johanes Zechner – Bemerkungen zur Bildsprache

 

Die Bilder von Johanes Zechner sind narrativ. Der Künstler arbeitet mit visuellen Mitteln der Kommunikation: mit Schrift, das heißt geschriebener Sprache, und Bild, also bildnerisch umschriebene Sprache. Zechner bedient sich – wie in den Schriftbildern, in denen er vorwiegend Texte seiner Freundes, des Autors Peter Waterhouse, verwendet – vorgefertigter schriftlicher Werke, arbeitet mit Zeichen des lateinischen Alphabets und entwickelt ebenso, parallel dazu, in einer individuellen Bildsprache ein subjektives Zeichenvokabular.

 

Aufgrund von optischen Eindrücken, damit verbundenen Erfahrungen sinnlicher, emotionaler und intellektueller Art erfindet er analoge Darstellungen, Kürzel die Dinge der Gegenstandswelt – Formen als Sinnbilder, die gleich einem Symbol, das materiale Ding an sich wie auch dessen geistigen Gehalt stellvertreten und für den Betrachter vergegenwärtigen. Die Kürzel entstehen nicht nur auf dem üblichen Weg der Abstraktion oder der Stilisierung, sondern sie sind intuitiv erfundene Äquivalente zu den für das Auge sichtbare Erscheinung und zu den damit verbundenen geistig-emotionalen Bildern. Sie sind unzählbar und vielgestaltig, sie können beliebig organisch oder geometrisch konstruiert sein.

 

In der Werkgruppe der Fahnenbilder tritt das Motiv am einzelnen Bild meist dominant, vervielfacht zu einer Motivgruppe auf, deren Teile in einem Flächenmuster zueinander in Verhältnis gesetzt sind, manchmal steht es auch in Kombination mit Zahlen.

 

Diese erfundenen, oder besser gefundenen Formen sind im Gegensatz zum eindeutig bezeichnenden Wort oder dem ganzen Satz, mit dem man eine mehr oder weniger eindeutige Aussage treffen kann, völlig anders zu lesen. Beides, Schrift und Bild, wird vom Auge wahrgenommen. Die Sichtbarkeit des Formzeichens jedoch bedingt nicht die direkte Lesbarkeit, wie das bei den Schriftzeichen der Fall ist. Die Zeichen müssen ihrem Wesen gerecht, das bedeutet ihrer eigenen Genese und Synthese Entsprechen, analysiert, also dechiffriert werden: Schriftzeichen sind linear zu erfassen,  sukzessive zu lesen und werden in ihrer Aneinanderreihung zu einem Wort mit einem eindeutigen Inhalt verbunden. Das Bildzeichen wir als Ganzes – in einem ästhetischen, formalen, farblichen, evokativen u.a. Qualitäten – simultan erfasst, es ist nicht eindeutig mit einem absolut gültigen Inhalt belegt, seine Sinnhaftigkeit steht in direktem Bezug auch zu seiner Stellung innerhalb der konstruierten Struktur. Die sinnliche Wirkung des optischen Reizes, den das Bildzeichen hervorruft, bedingt nicht nur ein wiedererkennen und die folgende Zuordnung von Bedeutung, sondern löst eine Reihe von Assoziationen aus. Das Bildzeichen bietet als Solitär eine Menge möglicher Bedeutungen an, die Information ist nicht so ausschließlich wie jene de geschriebenen Wortes, erst im systematischen Zusammenhang kann das Bildzeichen sinngemäß rezipiert werden, jedoch seine Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit wird rein intelligibel nicht begriffen.

 

In der Genese der Kommunikationszeichen haben sich die Buchstaben aus den Bildzeichen durch Abstraktion herausentwickelt, die nächste Stufe in diesem reduzierenden Vorgang ist der Schritt zum digitalen Zeichen in der elektronischen Datenverarbeitung – bei einer Sprache, die es möglich macht, jede Information mit der Kombination von 0 und 1 zu kodifizieren. Dieser Entwicklung und der Auseinandersetzung damit trägt der Künstler auch in der Werkreihe Rechnung, indem er bildnerisch den binären Kodes, der 0- und 1- Kombinatorik verarbeitet.

 

Eine gewisse Nähe zur elektronischen Bildverarbeitung – ein typisches Merkmal der zeitgenössischen Malerei der neunziger Jahre, die parallel zu den und in reflexiver Weise auf die elektronischen Bildmedien arbeitet – äußert sich wenn auch nicht bewusst rekurriert, auch in den zu besprechenden Bildwelten von Johanes Zechner in verschiedenen Aspekten, vor allem in der formalen Konstruktion und in der bild-räumlichen Konstellation der Zeichen, die in ihrer Entstehung den Einfluss der Konfrontation mit der computergestützten Bildverarbeitung und der Erfahrung mit den elektronisch generierten Bildern, die insgesamt den Blick, das Sehen wie auch das Lesen der Bilder (auch der realen Wirklichkeit) geprägt und verändert haben. Die Erfindung von Bilderschriften ist historisch und ethnologisch allgemein üblich. Das zechnersche Vokabular wurde vom Kunsthistoriker Kay Heymer etwa mit den Motiven und der Ikonographie von afrikanischen Fahnen für Männerbünde, den sogenannten Asafo-Companies des Stammes der Fante in Gahna die dem Künstler ursprünglich nicht bekannt waren verglichen.* Später, durch die nachfolgende Auseinandersetzung mit diesen Fahnen und ihrem kulturellen Herkunftsbereich entstand die Serie der Fahnenbilder. Die Asafo-Fahnen sind kompositionell immer durch die Flagge des britischen Machthabers in der oberen linken Ecke ergänzt. Zechner nimmt direkt Bezug darauf und etabliert das Flaggenmotiv in seinem Formenreservoir. Dem individuellen Vokabular, mit dem der Künstler eine subjektive Bildgeschichte vermittelt, wird ein überpersonelles Symbol entgegen gesetzt. Flaggen sind Erkennungszeichen: Hoheitszeichen von Staaten und Ländern und im Seewesen auch Verständigungszeichen für Schiffe. Ihre Integration in Zechners Werken ist nicht eine frage der kompositionellen innerbildlichen Struktur, sondern der inhaltlichen Aussage und des zu führenden Diskurses. Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung im Œuvre von Johanes Zechner ist die Beschäftigung mit Schachteln und ihren Inhalten. Dabei kann es sich um konkrete reale Behältnisse handeln, es können aber auch geistige Konstrukte wie soziale, politische, ideologische Ordnungen etc. sein. Der Künstler positioniert das Piktogramm auf der Weise auf der Fläche, nämlich im oberen oder unteren Randbereich, dass es wie ein Stempel das Bild markiert. Mit dem einfachen, formelhaften, aus drei farbig unterschiedlich bestimmten Horizontalen bestehenden Emblem, dem Staatssymbol, wird sofort Zugehörigkeit assoziiert, der Bildinhalt wird vereinnahmt, das individuelle System einer übergeordneten Einheit untergliedert. Es muss unter den neuen Bedingungen im veränderten Kontext neu definiert und gelesen werden.

 

Die Hierarchie der Zeichen spiegelt die hierarchischen Verhältnisse wider, deren einzelne Komponenten sie repräsentieren.

 

Wenn Johanes Zechner geschriebenes als bildnerisches Element verwendet, ist das kein rein formales Experiment, sondern auch die semantische Ebene gewinnt an Bedeutung. Bewusst wird auch eine sprachliche Botschaft vermittelt. Die Zeichen, die Worte sind an ihre Bedeutung gebunden, aber parallel dazu wird eine (typo)grafische Wirkung ausgelotet. Ausgegangen ist Zechner von den Buchstaben des ABCs, die er sich persönlich – durch die malerische Arbeit, der Auseinandersetzung mit ihrer Konkreten und der emotional zu begreifenden Form – einzeln angeeignet hat. Dem folgen Sätze und umfangreichere Texte, die miteinfliessen. Der Text wird zur Flächenstruktur von ornamentalen Charakter und ist zugleich Teil eines komplexen Bildgefüges, in dem er als gleichwertiger Part die Malerei ergänzt. Text und Malerei wirken wechselseitig aufeinander und durchdringen sich. Ein Mittel übernimmt und erweitert die Funktion des anderen. Das gestisch – emotional Malerische verbindet sich mit dem Rationalen, dem Intellektuellen zu einem Ganzen. Die Kommunikation findet auch verschiedenen Ebenen statt – eine probate Erweiterung der traditionellen Möglichkeiten im bildnerischen Bereich.

 

Zechner agiert immer auf mehreren unterschiedlichen Ebenen des Visuellen, der Wahrnehmung, der Wirklichkeit und der Kommunikation. Er ist ein Ethnologe, ein Etymologe, der die äusseren und inneren Welten, die eigene und fremde Kulturen erforscht. Er sucht nach Sprachen, ihren Zeichen und deren Bedeutung, besonders nach übergreifenden kulturellen Phänomenen.  Er verbindet das Bekannte mit dem Fremden, das Sichtbare mit dem Verborgenen und er öffnet unvermutete Strukturen, schafft Verbindungen zu neuen möglichen Ordnungen, offeriert Angebote, lässt Möglichkeiten offen.

 

Johanes Zechner hat in seiner Kunst für sich eine Sprache gefunden, innerhalb der er über die Möglichkeiten von Sprachlichkeit reflektiert.

 

 

* siehe: Christa Häusler: Die Fährten der Welt. In: Johanes Zechner. Der Afrikanische Koffer. Hrsg. Christa Häusler. Reihe Cantz, Stuttgart 1996, S. 8.

 

 

Aus: Christine Grundnig, „Johanes Zechner – Bemerkungen zur Bildsprache.“, in Johanes Zechner, Die Wiederholung, Fahnenbilder 1996, 1997, Galerie Ulysses, Wien,  1997